Von „Feudahlemern“ und „Marxisten“ – eine kleine Reise durch die Vergangenheit des Arndt-Gymnasiums

 

 

 

Eine Pädagogik „vom Kinde aus“ postulierte eine neue Generation von Pädagogen an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die Abkehr von autoritären Erziehungsstilen und die freie Entfaltung der natürlichen Anlagen des Kindes waren die wesentlichen Säulen dieser bildungsbürgerlichen Strömung. Auch ein gewisser Dr. Johannes Richter, ursprünglich ganz klassisch auf die Juristenlaufbahn schielend, wurde durch eine Hilfslehrertätigkeit von diesem Feuer erfasst. Dies markierte den Beginn einer scheinbar endlosen Odyssee durch deutsche Verwaltungsstuben auf der Suche nach einem passenden Schulgrundstück. Erst in Preußen wurde sein Ruf nach einem reformierten Gymnasium mit angeschlossenem Internat erhört. Ministerialdirektor Friedrich Althoff, der „heimliche Kultusminister“ des größten deutschen Teilstaates, reformierte nicht nur das preußische Mädchenschulwesen, sondern unterstützte Dr. Richter auch tatkräftig bei der Errichtung seines pädagogischen Traums.

1909 war es soweit. Weit vor den Toren des prosperierenden Berlins gelegen, eröffnete das Arndt-Gymnasium seine Tore für die Schüler – dem Zeitgeist entsprechend ausschließlich Jungen. Von Beginn an verstand sich die Lehranstalt als Teil des „deutschen Oxford“ in Dahlem, das die kaiserliche Familie mit der Ansiedlung von universitären Forschungseinrichtungen forcierte. Dabei musste natürlich nicht nur der geistige Horizont der Zöglinge, sondern auch die Geldschatulle der Familien ausreichend Potenzial haben. Fällig wurden, inklusive Internatsunterbringung, jährlich gut 1800 Reichsmark an Schulgeld – der Eintritt in eine exklusive Welt, die auch den Ruf der Schülerschaft als „Feudahlemer“ prägte. Für die happigen Preise wurde aber durchaus etwas Gegenwert geboten. Nicht nur eine exzellente Ausstattung von Schul- und Internatsgebäuden, sondern auch die Unterbringung in Hausfamilien nebst Verpflegung und Service durch das Hauspersonal waren inklusive.

Der Ausbruch des 1. Weltkrieges schlägt tiefe Wunden in die Strukturen der noch neuen Lehranstalt. Vom nationalistischen Taumel erfasst melden sich ein Siebentel der Schülerschaft und knapp die Hälfte der Lehrer an die Front – vom Wahnsinn der „Urkatastrophe des 20. Jahrhundert“ zeugt bis heute das Denkmal für die gefallenen Schüler und Lehrer. Neuen Glanz erhält das „Arndt“ erst in den zwanziger Jahren. Schwimmbad und Heidehäuser, Ruderclub und Geselligkeit lassen oftmals eine tiefe Verbindung von Schule und Zöglingen entstehen.

Traditionell von konservativ-elitärem Denken geprägt, geht das „Arndt“ einen distanziert-angepassten Weg durch die nationalsozialistische Diktatur. Auch hier dominieren aber mit zunehmender Kriegszeit das Notabitur und Einberufungen zu Arbeitsdienst und Militär den Schulbetrieb. Brennstoffmangel, Bombenkrieg und die „Kinderlandverschickung“ lassen den Unterrichtsbetrieb im Jahr 1943 zusammenbrechen. Zum Kriegsende liegt das einst so stolze Gymnasium in Trümmern. Unbewohnbare Internatsgebäude, Bombenschäden am Schulgebäude, Noteinquartierungen und Plünderungen lassen nur zögerlich einen Neubeginn zu.

 



Mit Anbeginn der Friedenszeit setzt auch eine neue – diesmal gesamtgesellschaftliche – Diskussion über Erziehung und Pädagogik ein. Der Wiederaufbau der Schule wird mit Beginn der 50er Jahren erstmals von Schülern und Schülerinnen begleitet. Bereits ein gutes Jahrzehnt später prallen auch am AGD das traditionelle Gesellschafts- und Weltbild und die zunehmende Hinterfragung von Autoritäten aufeinander. Marxisten und konservative Teile der Schülerschaft bilden dabei die Pole der innerschulischen Konflikte. Die gesellschaftlichen Umbrüche münden zumindest äußerlich in einer Namensänderung – aus dem Arndt-Gymnasium wird die Arndt-Oberschule. Auch strukturell wird die Lehranstalt stärker in die gesellschaftliche und politische Landschaft des geteilten Berlins eingepasst. Immer schwerer kann die „Richtersche Stiftung“ die finanziellen Verpflichtungen des Schul- und Internatsbetriebs erfüllen und löst sich in den 70er Jahren endgültig auf. Es scheint fast wie ein Wunder, dass das Profil der Schule mit seinem humanistischen Bildungsanspruch letztendlich fast unbehelligt bleibt. Wachsende Schülerzahlen zwingen dabei immer wieder zu baulichen Erweiterungen – hinsichtlich Funktionalität und Ästhetik leider nicht immer die Erfüllung der darin gesetzten Hoffnungen.

Was bleibt? Auch heute zeigt die wieder zum Arndt-Gymnasium gewandelte Schule ihre Fähigkeit, Tradition und Moderne zu vereinen. Musik und Theater, Latein und Englisch, Rugby und Waveboard, Dahlemer Tag und „Zeittänzer“ nehmen das Vergangene auf und weiten es behutsam auf. Der Frage nach dem „richtigen Weg“ und ihrem Platz in einer bunter werdenden Gesellschaft müssen sich Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler auch weiterhin stellen – angesichts dieser Vergangenheit werden wir aber auch das hinkriegen.

 

Die Zeittänzer – Im Takt durch die Geschichte